100 Tage Werkleiter Verkehr, Herbert König

Aktuelle Informationen für Presse und Rundfunk 05.01.1993 (01/1993)

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Andreas Nagel, Freischützstraße 110, 81927 München, (0172) 8342157, nagel@fahrgaeste.de

Als der neue Werkleiter Verkehr, Herbert König, am 1. Oktober 1992 seinen Dienst in München antrat, sahen alle voller Hoffnung einer neuen verkehrspolitischen Zeit entgegen. So engagiert wie in Zürich sollte auch bei uns für den Nahverkehr eingetreten werden. So vorbildlich wie in Karlsruhe sollten neue Strecken für die Trambahn als Tangentenverkehrsmittel gebaut werden. Der Muff vergangener Jahre sollte aus der Direktion der Verkehrsbetriebe verschwinden, das Personal neu motiviert werden.

Vielleicht waren die Erwartungen zu groß. Nach einhundert Tagen mit dem neuen Werkleiter müssen wir feststellen: Das vom Stadtrat bereits beschlossene TRAM-PLUS-Konzept wurde wieder zu Fall gebracht. Die Tram 26 soll nicht nur zwischen Harras und Lorettoplatz stillgelegt werden, sondern auch zwischen Harras und Messegelände. Der Trambahnbetriebshof 3 wird geschlossen, das gesamte Personal darf jeden Morgen und jeden Abend quer durch die ganze Stadt zum Dienst fahren. Was aber viel schlimmer ist, die Einigung von Stadt, Landkreisen und Land über die Aufteilung der finanziellen Verantwortung für den MVV liegt in weiter Ferne. Statt Ausbau des Linienverkehrs ist ‚Rationalisierung‘ angesagt. Rationalisierung ist aber nur ein schönes Wort für Stillegung, Fahrplanausdünnung und Leistungseinschränkung am Wochenende und am Abend.

Wenn in den letzten Tagen zwar auch schon von der ‚Neubaustrecke‘ Effnerplatz -Cosimapark geredet wird, so ist dies zweifellos auch unserem neuen Werkleiter anzurechnen. Dabei darf allerdings nicht vergessen werden, daß diese Strecke schon einmal bestanden hat – also lediglich ein Fehler der Vergangenheit korrigiert wird. Die ‚Neubaustrecke‘ Zschokkestraße ermöglicht nur technisch die Einstellung der Tram 26 zwischen Westendstraße und Lorettoplatz.

Die verschiedenen Initiativen, weitsichtige Stadtplaner und schließlich auch eine Mehrheit des Münchner Stadtrates hat es geschafft, wesentliche Infrastruktur der Trambahn bis zum Jahr 1992 für München zu erhalten. Der Erhalt diente aber nicht nostalgischen Zwecken. Er war eine Option für die Zukunft. Der Individualverkehr ist in den letzten Jahren angestiegen wie nie zuvor, das erträgliche Maß ist längst überschritten. Als die rot-grüne Stadtratsmehrheit antrat hat sie versprochen, den Linienverkehr auszubauen. Während die umstrittenen Stolperschwellen gegen den Individualverkehr realisiert wurden, trat auf der anderen Seite beim Linienverkehr keine Verbesserung ein, die auf eine Initiative dieses Stadtrates zurückzuführen ist. Wir wurden immer getröstet, daß halt noch der richtige Mann in der Verwaltung fehlt, der die guten Ideen umsetzt. Dieser Mann ist jetzt da – und hat in wenigen Wochen viel erreicht: Sparen vermeintlicher Kosten für den Linienverkehr.

Schnellbahnen, Trambahnen und Busse sind gerade in einem Ballungsraum kein Zugeständnis an die Bürger, keine besondere Wohltat. Sie sind ein unverzichtbarer Bestandteil des öffentlichen Lebens. Sie sind nicht der Sparstrumpf der Politik, der dann angegriffen wird, wenn die Haushaltslage es erfordert. Die Fahrgäste, die mit Bus und Bahn fahren, brauchen kein schlechtes Gewissen haben, weil sie ’nur‘ ca 50 % der Kosten mit ihrem Fahrschein bezahlen. Schließlich könnte sich kein Autofahrer mehr in München bewegen, wenn sich nicht die Mehrheit der Bürger für Bus und Bahn entscheiden würden.
Mit dem starren Blick auf die Kosten lassen sich keine neuen Fahrgäste gewinnen. Nur mit einem phantasievollen und verbesserten Angebot rechtfertigt sich der hohe Einsatz von Steuermitteln. Ein U-Bahn-Tunnel, der für hunderte von Millionen DM gebaut wurde muß auch in der späten Nacht und am frühen Morgen befahren werden. Sobald das Angebot stimmt, kommen auch die Fahrgäste. Mit Leistungseinschränkungen kann man jede Linie so unattraktiv machen, daß man sie am Schluß einstellen ‚muß‘.

Wir haben beim neuen Werkleiter immer ein offenes Ohr gefunden. Zwar konnten wir nur die Verlängerung der neuen Linie vom Gondrellplatz in die Stadtmitte erreichen. Aber uns bleibt weiter die Hoffnung auf den Ausbau der Linienverkehrsmittel zu einer attraktiven Alternative zum Auto.